ESPERANZA – wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben
Bevor ich die Skulptur überhaupt gesehen hatte, waren die ersten Verrisse schon in der Presse: “der künstlerische Wert der Arbeit wurde einhellig negativ bewertet (von einer Gutachtergruppe);
man möge einmal mit geschlossenen Augen seine Arme, Schultern und den Hals bis zum Kopfansatz abtasten – nein diese Figur ist hoffnungslos; ich finde die Plastik erschreckend und für den Platz überhaupt nicht passend und neben der Weite des Meeres kommt sie außerdem nicht zur Geltung, sie wirkt wie ein Bindfaden.” Nun, neben der Weite des Meeres kommt wenig zur Geltung, da hilft vielfach nur Hoffnung. Und die “Große Stehende” von Werner Stötzer auf der Westmole versucht das Abtasten mit geschlossenen Augen seit 1998 – ohne Ergebnis.
Nun aber überwiegen die zustimmenden Veröffentlichungen und was ich denn dort auf dem Molenkopf der Alten Ostmole sah, hat durchaus Empfindungen geweckt. Und dazu musste ich die Augen nicht schließen. Ich musste mich nur der Geschichte dieses Fischer- und Hafenortes erinnern. Und dann sehe ich die Fischfrauen dort stehen, auf Zehenspitzen, die Hand über den Augen, Ausschau haltend nach dem Mann, dem Sohn, in deren kleinen Fischerbooten. Deren Auftauchen am Horizont war lebenswichtig, vielfach auch überlebenswichtig. Auch konnte ich die Hoffnung nachempfinden, die meine unmittelbaren Vorfahren hegten, der Sohn, der Mann kehrten unversehrt mit einem der unseligen Kriegsschiffe zweier Weltkriege zurück. Und heute? Da stehen gleichfalls Menschen am Kai und warten, dies aber mit einiger Sicherheit auf das am Horizont auftauchende AIDA-Schiff, um Oma und Opa abzuholen und diese dann wieder nach Mäuselwitz oder Schkeuditz zu fahren.
Lasst uns also die ESPERANZA dort stehen, wir werden noch Hoffnung brauchen.
Mich bedrängen gänzlich andere Gedanken beim Betrachten der Bronzestatue. Die Buntmetalldiebe und deren Abnehmer und die Chaoten bei ihren Beschmierungen und Zerstörungen. Aus Erfahrung der vergangenen Jahre. Da hatte der “Esel reitende Junge” von Gerhard Rommel seinen Schwanz “verloren”. Heute trägt er ihn wieder, in Rostock, an der Kunsthalle. Das “Liebespaar” von Wilfried Fitzenreiter musste restauriert und wieder aufgerichtet werden. Das “Nördliche Firmament” von Inge Jastram und Susanne Rast fiel zweimal schon den Vandalen zum Opfer. Nun steht es wieder. Die “Große Stehende” beschmiert, wurde wieder sauber. Und bei derartigen Vorfällen gibt es inzwischen ein geübtes Verfahren. Das Kulturamt löst den Auftrag an den Restaurator aus, die Rechnung geht an den Leuchtturm. Völlig unkompliziert. Ein paar „alte Herren“, zumal aus der christlichen Seefahrt, mit Kunstsinn. Wo findet man solches?
Solches gilt übrigens auch für finanzielle Förderungen bei der Wiederaufrichtung der “Trinkenden“ von Victor Seifert am Rosengarten, oder Zuschüssen für die Umsetzung des „Brinckmann-Steins” von Wilhelm Wandschneider. Die größeren Förderungen sollen in diesem Zusammenhang auch genannt sein, wenngleich diese durch derartige Erscheinungen unserer Zeit nicht unmittelbar gefährdet sind. Der “Schnitzaltar” in der Warnemünder Kirche und die Restaurierung der Chorfenster in der Marienkirche mit der hintersinnigen Überweisung von 15.000,- Euro an die Deutsche Stiftung Denkmalschutz und der darauf erfolgten Verdoppelung dieser Summe.
Und wenn ich schon dabei bin, dann darf ich auch noch an die Entstehung des “Ümgangsbrunnen” von Wolfgang Friedrich erinnern. Unsere finanzielle Unterstützung mag geholfen haben, aber auch unsere Gespräche mit Fritz Roggelin und Rolf Grund zu den historischen Figuren und letztlich die Entscheidung diese “gegen den Strom” laufen zu lassen. Wer möchte, kann dies in meinem Text am Brunnen nachlesen. Bei all diesen “Hilfen” haben wir hier am Leuchtturm die Hoffnung gehabt, einer der Künstler käme vorbei und sagt: “Männer ich gebe einen aus!” Ist noch nicht geschehen. Einzig mit Wolfgang Friedrich haben wir in seinem Atelier auf das Gelingen angestoßen, worauf dieser Brunnen einer der sinnvollsten und schönsten in unserer Stadt wurde.
Und damit bin ich wieder bei ESPERANZA und der Hoffnung, deren Kritikern etwas entgegensetzen zu können. Zwei Skulpturen fallen mir ein, die einstmals gleichfalls unter der Kritik von “Fachkennern” standen. Da ist der “Emporsteigende Jüngling” von Wilhelm Lehmbruch 1913 geschaffen, von der es danach hieß: “die außergewöhnliche Schlankheit dieser Figur; ihre überlängsten Proportionen, aber auch die Intensität ihrer Ausdrucksweise, erregten schon in den ersten Ausstellungen Begeisterung und Kritik”. Die Begeisterung überwog. Und so steht der Jüngling seit 100 Jahren, andachtsvoll bestaunt, im Wilhelm-Lehmbruch-Museum in Duisburg.
Und wem das nicht genügt, dem sei an die von Ernst Ludwig Kirchner 1912 geschaffene “Stehende” erinnert mit “ihren unorganisch verschränkten Gliedmaßen” in der Nationalgalerie Staatliche Museen Berlin.
Damit keimt “Hoffnung” auf, wenn das Meer uns nicht mit der nächsten Klimakatastrophe wegspült, dann steht die ESPERANZA noch in 100 Jahren auf ihrer Mole. Und erinnert zugleich an einen Künstler Ene Slawow und den Sponsor Eyk-Uwe Pap und dessen BALTIC Taucherei- und Bergungsbetrieb. Dem Ort konnte nichts Besseres widerfahren. Dennoch, kaum stand sie da, die ESPERANZA, da waren sie da, die ihr “ins geschenkte Maul schauten”. Ich aber glaube, etwas anderes gesehen zu haben. Nämlich, dass sie einen kurzen Moment nur ihren Kopf zur Westmole drehte und der “Großen Stehenden” zurief: “Ich bin viel schöner als du, grrößer auch!” so sind die Frauen nun mal.
Gerhard Lau
Kaum aufgestellt: Schon waren die ersten ESPERANZA-Reaktionen da: Die junge Dame aus Bronze ruft sehr unterschiedliche Resonanz hervor: Dem einen ist sie zu groß, dem anderen zu klein, einige stoßen sich an ihrer Schlankheit, andere fanden sie zu goldig. Wir fragen Sie! Wie gefällt Ihnen die ESPERANZA?
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